Vom Turnverein zum Sportverband.
Die Geschichte des WAT ist ein Stück Zeitgeschichte, sie ist auch ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung in unserer wunderbaren Stadt.
Die ersten Versuche der österreichischen Arbeiterschaft sich sportlich zu betätigen, wurden zur Zeit der Monarchie immer wieder verboten. Oft flüchtete man sich in die Umbenennung der Vereine von „Arbeiter“ in „Allgemeine“ Turnvereine, um diesen Restriktionen zu entkommen. Der erste regelmäßige Turnbetrieb fand 1892 beim Arbeiterbildungsverein Gumpendorf im Turnsaal Marchettigasse statt. 1892 war das Geburtsjahr des Arbeitersports. 1894 erfolgte die Gründung des Allgemeinen Turnvereins in Wien.
ERSTER WELTKRIEG
Diesen Bemühungen setzte der 1. Weltkrieg ein jähes Ende, obwohl einige Arbeiter selbst im Uniformrock den Kontakt untereinander aufrechterhielten. Sie trafen sich zu gemeinsamen Turnübungen auf improvisierten Geräten. Mit dem Sturz der Monarchie und der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 war eine der wichtigsten Grundlagen für die freie Betätigung der Arbeitervereinigungen geschaffen. Die Einführung des Achtstundentags und das Arbeiterurlaubsgesetz bildeten eine weitere wichtige Voraussetzung.
Am 23. August 1919 schlossen sich die vier bis dahin bestehenden Arbeitersportvereine zum Wiener Arbeiter Turnverein zusammen. Der Allgemeine Turnverein in Wien, der Allgemeine Arbeiter Turnverein Floridsdorf, der 1. Neulerchenfelder Turnverein – bereits 1885 als christlich-nationaler Turnverein gegründet und 1895 in einen Arbeiter-Turnverein umgewandelt – und die freie Turnerschaft Leopoldstadt, gegründet 1899 als Allgemeiner Turnverein Leopoldstadt.
WAT IM ZENTRUM
Der WAT wurde rasch zum Zentrum und war der wichtigste Verein der Arbeiterturner. Obwohl anfangs kein Geld vorhanden und ein großer Teil der Mitglieder arbeitslos war, stieg dennoch die Anzahl der Turnenden rasant an. Turnten 1920 an allen Abenden zusammengenommen noch rund 63.000 Frauen, Männer und Kinder in Wien, so waren es vier Jahre später (1924) bereits über 551.000!
Bereits im ersten Jahr nach der Vereinsgründung fand die erste Republikfeier beim Weigl im Volksgarten statt. Die Tradition, den 12. November als besonderen Festtag zu begehen, hat der WAT bis in die heutige Zeit beibehalten. In der Ersten Republik war dies auch der Nationalfeiertag.
VON RENNER BIS BAUER
Die Sozialdemokraten unternahmen den Versuch, für alle Bereiche des Lebens Arbeiterorganisationen zu schaffen, die proletarische Körperkultur war ein wesentlicher Bestandteil. Da die Grundorganisation des Arbeitersports die Jahre des Weltkriegs überdauern konnte, mussten zur Neuorganisation der Strukturen keine Initiativen gesetzt werden – lediglich eine Unterstützung durch Bereitstellung von Übungsplätzen und die Übernahme von Werbetätigkeit im Rahmen der Arbeiterpresse waren vonnöten. Die Arbeitersportler ihrerseits traten auf allen Ebenen für die Ziele der Sozialdemokratie ein. Bei den großen Veranstaltungen und Lehrgängen referierten die namhaftesten Vertreter der Partei, unter ihnen Otto Glöckel, Karl Seitz, Karl Renner, Käthe Leichter und Otto Bauer.
Doch nicht nur im WAT – im gesamten europäischen Arbeitersport war ein Aufschwung zu verzeichnen, der seinen Ausdruck bei den großen internationalen Arbeitersportfesten fand. Die Arbeiterolympiaden waren Ausdruck dieser Entwicklung.
ARBEITEROLYMPIADEN
Die erste Arbeiterolympiade fand 1925 in Frankfurt am Main statt, das erste österreichische Arbeiter Turn- und Sportfest 1926 in Wien. An letzterem waren die Funktionäre und Aktiven des WAT mit dem Löwenanteil der Arbeit betraut. Nicht minder eindrucksvoll war das Schauturnen des WAT am 1. Mai 1925, an dem 2.400 Mädchen und 1.000 Knaben die Massen-übungen der Kinder vor dem Rathaus zeigten.
Die größte Massenveranstaltung war aber zweifelsohne die zweite Arbeiterolympiade im Juli 1931, mit der auch gleichzeitig die Eröffnung des Wiener Stadions (eine langjährige Forderung der Arbeitersportler Wiens) gefeiert wurde. Der Arbeitersport war somit zu einer politischen Kulturbewegung geworden.
WAT WURDE VERBOTEN
Die Weltwirtschaftskrise, die ein Anwachsen des Faschismus in ganz Europa begünstigte, führte auch in Österreich zur Verhärtung der Fronten zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum. Mit der Niederschlagung der Arbeiterbewegung im Februar 1934 wurde auch der Demokratie in unserem Land ein Ende gesetzt. Die sozial-demokratische Partei und alle ihre Organisationen wurden verboten, so auch der WAT. Damit hatte die Dollfuß-Diktatur auch für die Nationalsozialisten den heftigsten Widerstand aus dem Weg geräumt. Elf Jahre Unterdrückung, zuerst durch den austro-faschistischen Ständestaat der „Christlichsozialen“, dann durch das nationalsozialistische Terrorregime, haben unzählige Opfer gefordert. Doch sie brachen nicht den Geist jener Menschen, die ihre Pflicht im Widerstand sahen und sich nicht, um des eigenen Vorteils willen, den Nazis anschlossen.
NACH DEM 2. WELTKRIEG
Gleich nach der Befreiung Österreichs, noch vor der Kulisse der Kriegsruinen, fanden sich die Arbeitersportler zusammen und organisierten den Sportbetrieb von neuem. Die Sportstätten wurden eigenhändig wiederaufgebaut und trotz der Not der Nachkriegszeit setzten sich bald hunderte engagierte Menschen für den Wiederaufbau des WAT ein.
Der WAT erreichte als Organisation bald wieder die Größe und Mitgliederstärke der Zwischenkriegszeit. Die großen Veranstaltungen am 1. Mai und die Republikfeiern zum 12. November bildeten alljährliche Höhepunkte, bei denen anfangs das Wiener Stadion noch bis in die letzten Ränge mit Zuschauern gefüllt war. Doch mit der Zeit ließ das Zuschauerinteresse nach.
NEUE HERAUSFORDERUNGEN
Überhaupt setzte eine Entwicklung der Individualisierung der Gesellschaft ein: Große Massenveranstaltungen, der Verein als zweite Familie, waren in Zeiten wachsender Mobilität und individuellerer Freizeitgestaltung nicht mehr so bedeutend wie noch in den Zwischenkriegsjahren.
Auch der WAT stand somit vor neuen Aufgaben und Herausforderungen. Waren es in den Anfängen der Ausgleich zu den Belastungen der schweren Arbeitsbedingungen und der Aufbau eines eigenen Kulturverständnisses, so ging es nun darum, ein möglichst vielfältiges, attraktives und kostengünstiges Sportangebot für alle Wienerinnen und Wiener zu schaffen und so zu Fitness und Gesundheit beizutragen.
DIE ÄRA HANS BOCK (1972–1982)
Die Zeit des WAT in den Siebzigerjahren ist geprägt durch die Präsidentschaft von Hans Bock (Vizebürgermeister der Stadt Wien). Es wurden Leitlinien beschlossen, die die Basis für die zukünftige Entwicklung zu einem modernen Sportverein darstellten. Das „WAT Journal“ wurde zu einer repräsentativen Zeitschrift umfunktioniert, die Mitgliederzahl war wieder im Steigen und eine Reihe von Sportshows des WAT wurde mit großer Resonanz in der Öffentlichkeit durchgeführt.
Hans Bock (1980): „Die Stärke unserer Bewegung ist es, sich nie mit Erreichtem selbstzufrieden zu bescheiden, sondern stets an der Verbesserung der Zukunft weiterzuarbeiten.“
1977 präsentierten die besten Turnerinnen und Turner des WAT in der Wiener Stadthalle im Rahmen einer spektakulären Sportschau ihr enormes Können. Moderne Gymnastik, Geräteturnen, Gymnastik mit dem Medizinball und die „Fliegenden WATler“ sowie die Jazz-Gymnastikgruppe Stadlau ließen die Stadthalle vibrieren. Viel Prominenz hatte sich eingefunden – so konnte „Gastgeber“ Hans Bock Bundeskanzler Bruno Kreisky als Ehrengast begrüßen.
Eine Vorreiterrolle nimmt der WAT auch hinsichtlich der heute so beliebten Massen-Lauf-Events ein: So schildert das „WAT Journal“ etwa einen vom
WAT Brigittenau erstmalig im Jahr 1975 organisierten „Bezirkslauf“ als Ereignis, das später noch im WAT und in ganz Wien Schule machen sollte.
DIE ÄRA KARL BLECHA (1982–2008)
In der Ära Blecha wurden die Grundsteine der Entwicklung des WAT zu einem modernen und den Ansprüchen der Zeit gerecht werdenden Sportverein gelegt. Auf die Ausbildung von Übungsleiterinnen und -leitern sowie Instruktorinnen und -instruktoren und ihre frequente Fortbildung in den verschiedensten Fitsportarten wurde ein immer größerer Wert gelegt. Babyschwimmen (heute Eltern-Kind-Schwimmen) als neues Bewegungsangebot schon für die Kleinsten wurde initiiert. Der WAT war mit diesem Sportangebot über Jahre hinweg führend in Wien.
PARALYMPIC GAMES
Seit den 80er Jahren wurde die Integration von Menschen mit Behinderung beim WAT gelebt. Sowohl beim Turnen als auch beim Schwimmen übernahm der WAT in Wien hier eine Vorreiterrolle. Einen großen internationalen Erfolg feierte man in diesem Zusammenhang anlässlich der Teilnahme von fünf WAT-Sportlerinnen und -Sportlern bei den „Paralympic Games“ für Sportler mit mentaler Behinderung 1992.
1987 rief WAT-Präsident und Bundesminister Karl Blecha die Aktion „Wir für Euch“ ins Leben, die arbeitslosen Jugendlichen ermöglichte, kostenlos in den Genuss von sportlichen Aktivitäten im Rahmen der WAT-„Familie“ zu kommen.
Eine weitere große Sportschau im Rad-Stadion vereinte alle anwesenden Mitglieder des WAT: Die Wollknäuel, die kreuz und quer im Stadion geworfen und gespannt wurden, bildeten das große Netzwerk des WAT. Neue Sparten entstanden, weitere Vereine kamen dazu und der sporttechnischen Entwicklung wurde in den einzelnen Gruppen mit der Anschaffung von Geräten und der zusätzlichen Ausbildung Rechnung getragen.
DIE ÄRA CHRISTIAN PÖTTLER (AB 2009)
Mit Oktober 2009 übernahm Christian Pöttler die Präsidentschaft des WAT, Karl Blecha wurde Ehrenpräsident. Der WAT ist mittlerweile zu einem modernen Sportverband angewachsen und beschäftigt sich intensiv mit den Herausforderungen des neuen Jahrtausends. Die Fortführung der traditionellen Angebote bei einer gleichzeitigen steten Weiterentwicklung und mit einem kräftigen Ausbau der Programme ermöglichen dem WAT neue Präsentationsformen. Um zwei Beispiele zu nennen: Mit der Laufplattform „Wienläuft“ samt „Cup Wienläuft“ wird der WAT zum wichtigsten Kommunikator für viele Wiener Bezirks- und Volksläufe mit insgesamt 10.000en Teilnehmerinnen und Teilnehmern.